Projektinfos

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  • Projektleitung
    DI Verena Rauh
    Florian Schwender M.A.
  • Mitarbeit (Entwurf)
    DI Christoph Dünser
    Daniela Wache M.Sc.
  • Generalunternehmer
    Takenaka Corporation
  • Lichtplanung
    Manfred Remm


  • Bauherr
    YKK Real Estate

    Standort
    Kurobe in Japan

    Fertigstellung
    2025

    Projektdaten

    Rechte
    Foto Roland Wehinger
    Text Tina Mott

    YKK Passive Town, Kurobe


    Holzbau als Gratwanderung

    Die beschauliche Küstenstadt Kurobe erstreckt sich über fruchtbares Schwemmland zwischen den markanten Gipfeln der Hida-Alpen und dem Japanischen Meer. Seit 1955 wird die Region von der Firma YKK geprägt, die sich vom Weltmarktführer für Reißverschlüsse zu einem diversifizierten Konzern etabliert hat. Durch Arbeitsplätze, Wohn- und Bildungseinrichtungen sowie kulturelle Förderung entwickelte sich der Ort zu einer lebendigen Gemeinschaft, die eng mit dem Unternehmen verbunden ist.

    Der Eigentümer Tadahiro Yoshida ist der Initiator des Leuchtturmprojekts YKK Passive Town, das nachhaltiges und energiebewusstes Wohnen auf innovative Weise umsetzt. Durch einen Direktauftrag für den 5. Bauabschnitt sahen sich HK Architekten mit der anspruchsvollen Aufgabe konfrontiert, kontemporären Holzbau mit hohem Vorfertigungsgrad unter den komplexen Rahmenbedingungen Japans zu erproben. Ausgesprochen strenge Baugesetze, vor allem zu Erdbebensicherheit und Brandschutz, gestalteten diese Herausforderung als architektonische und konstruktive Gratwanderung. Denn erstmals bei einem Bauvorhaben in großem Maßstab wurde maximale Vorfertigung mit der Verwendung lokaler Holzressourcen verbunden. So entstand eine überzeugende Symbiose aus Regionalität, technischer Präzision und sozialer Verantwortung, da die Arbeit in geschützten Werkhallen auch älteren und vulnerablen Menschen einen Platz im Bauwesen sichert.

    Eingewoben in den abwechslungsreich gestalteten Bewohnerpark manifestiert das Ensemble markante städtebauliche Präsenz. Drei solitäre Wohntürme mit quadratischem Grundriss und sechs bis sieben Stockwerken verleihen der Anlage Profil. Die Gestaltung der Häuser folgt den Prinzipien des konstruktiven Holzhybridbaus, als subtile Hommage an die traditionelle japanische Architektur und Handwerkskunst. Über infrastrukturell genutzten Erdgeschossen entwickeln sich kompakte Wohnungen, die über eine zentrale Scherentreppe erschlossen werden. In allen Einheiten bleibt die Holzstruktur der Verbunddecken sichtbar, während die Böden mit schlanken Sugi-Brettern belegt sind. Über gedeckte Balkone öffnen sich die Apartments zum Grünraum und zu den Bergsilhouetten am Horizont.

    Eine filigrane Passerelle verbindet die Wohngebäude mit der Garage und den Gemeinschaftsräumen. Sie dient nicht nur als geschützte Erschließung bei häufigem Starkregen, sondern bietet auch  Begegnungsflächen sowie einen Ort für den monatlichen Markt mit regionalen Produkten. Ein Mehrzwecksaal kann sowohl als Coworking-Space als auch als Veranstaltungslokal mit Küche genutzt werden. Die Möbel wurden von HK Architekten entwickelt und sind aus den Bäumen gefertigt, die für die Neubauten auf dem Grundstück weichen mussten. Der organisch geformte Gemeinschaftspavillon, die sogenannte „Stube“, bildet das bauliche und soziale Herz der Anlage. Sie eröffnet einen inspirierenden Raum, der nachbarschaftliche Aktivitäten wie Yoga oder Konzerte ermöglicht und das Miteinander fördert.

    Kernpunkt der strukturellen und tektonischen Konzeption war die Herausforderung, den Werkstoff Holz bei hohen Gebäuden selbst unter restriktiven Planungsparametern optimal als tragendes Material einzusetzen. So ruhen die Wohntürme auf großflächigen Fundamenten, in denen massive Treppenschächte verankert sind. Da angesichts des ozeanischen Klimas in Kurobe eine schnelle, witterungsgeschützte Bauweise entscheidend war, wurden zwischen vorgefertigten Holzstützen geschossweise Fassadenelemente mit integrierten Fenstern montiert, auf welche Betonfertigteilbalken und Holz-Beton-Verbunddecken folgten. Diese Methode ermöglichte eine regensichere Errichtung von unten nach oben und verkürzte die Montagezeit gegenüber herkömmlichen Baustellen um mehr als die Hälfte.

    Im Vergleich zu Europa erforderten die komplexen Rahmenbedingungen sehr aufwändige Detaillösungen und Bauteilaufbauten. Die Decken tragen im Brandfall ausschließlich über die Betonschicht, die Holzstützen sind 120 Minuten feuerbeständig, und der Brandüberschlag wird durch metallverkleidete Brüstungen verhindert. Trotz dieser Maßnahmen bleibt Holz als prägender Werkstoff im gesamten Projekt sichtbar und spürbar. Die Fassadenelemente sind mit sägerauen Verschalungen belegt und durch Naturharzbeschichtungen in gedeckten Farbtönen geschützt. Speziell entwickelte und selbst produzierte  Holz-Alu-Schiebefenster von YKK markieren zugleich die ersten Schritte des Unternehmens in dieser Disziplin.

    Das Ensemble setzt auch neue Maßstäbe für energiesparendes Wohnen. Hochwärmegedämmte Gebäudehüllen, kompakte Bauweisen und gezielte sommerliche Kühlung schaffen Komfort bei minimalem Verbrauch. Dezentrale Luftwärmepumpen übernehmen die Klimatisierung und werden durch Photovoltaik unterstützt. Im Erdgeschoss eines Wohnturmes verwandelt eine Power-to-Gas-Anlage überschüssigen Solarstrom in Wasserstoff, der im Winter die Energieversorgung sichert, wobei die Emissionen dieses Null- oder Plusenergiehauses bei einem Fünftel von Standardgebäuden liegen. Zudem reduziert die Hybridbauweise den CO₂-Ausstoß über den gesamten Lebenszyklus um bis zu 50 %.

    So verdeutlichen die aus dem Projekt resultierenden Erkenntnisse und Erfahrungen, dass die Kombination von innovativem Holzbau mit maximaler Vorfertigung und der Nutzung lokaler Ressourcen vielversprechende Perspektiven für die Weiterentwicklung mehrgeschossiger Holzbauten in Japan eröffnet.

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    Projektbilder